Oskar schreit
Der dicke Oskar ist mit Abstand der größte und schwerste Mopswelpe im A-Wurf. Das verschafft ihm Vorteile gegenüber seinen Geschwistern, kann er sich doch allein aufgrund seiner Masse gegen die anderen Zwerge durchsetzen. Das tut er auch, indem er sie einfach überrollt, zur Seite drängt oder unterwandert und über seinen Rücken abrollen lässt.
Er bekommt immer seine Lieblingszitze an der Milchbar mit einer einzigen Ausnahme. Seine Schwester Lulu, auch Fräulein Willenskraft genannt, war schneller und hat sich bereits angedockt. Da kann er von rechts und links schieben, Lulu dreht sich lediglich von einer Seite auf die andere. Da kann er sich auf sie legen, Lulu schnorchelt unter ihm weiter. Da kann er sie untergraben, Lulu macht einen Kopfstand. An die Zitze kommt er nicht. Daran klebt Lulu wie der Sekundenkleber auf der Haut.
Und dann der Moment, in dem der dicke Oskar realisiert, dass er von seiner Lieblingszitze so weit entfernt ist, wie die Erde vom Mond. Und was macht er? Er schreit und schreit und schreit vor Empörung und Frust. Das bringt Mama Hilde auf den Plan. Vom Geschrei aufgeschreckt hebt sie den Kopf und schnüffelt in seine Richtung. Nein, alles in Ordnung. Sie legt sich wieder bequem, das Schreien hört nicht auf. Sie hebt wieder den Kopf, beobachtet ihren Sohn. Das Schreien hört nicht auf. Ja und dann? Hilde steht auf, schüttelt ihre Tochter Lulu ab und legt sich an anderer Stelle wieder so hin, dass der dicke Oskar an seine Lieblingszitze andocken kann. Was war das denn? Wird Mutterliebe doch nicht gleichmäßig über die Welpenschar verteilt? Hat Hilde etwa ein Lieblingskind? Oder will Hilde nur das Geschrei abstellen, weil sechs Welpen großziehen anstrengend genug ist.
Ich weiß es nicht. Oskar jedenfalls hat niemals die Blechtrommel von Günter Grass gelesen, geschweige denn den gleichnamigen Film von Volker Schlöndorff gesehen. Er kennt auch nicht die Media Markt Werbung im Fernseher. Obwohl, vielleicht hat er sie im Mutterbauch gehört, denn Mama Hilde ist im Winter ein TV Junkie. Ich weiß nur eins: Der dicke Oskar lernt in der Welpenkiste die Lektion seines Lebens.
Du musst nur lange genug Terror schieben, dann kommt schon einer, der dir zu Willen ist.